Volkmar und die Kampagne Fairtrade Town Berlin kennen wir, da wir selbst Mitglied dieser Kampagne sind. Wir engagierten uns auch im Steuerungskreis Fairtrade-Bezirk Friedrichshain Kreuzberg und so läuft man sich über den Weg. Mittlerweile sind wir zusammen im Steuerungskreis des Aktionsbündnisses Fairer Handel Berlin, es gibt also diverse Überschneidungen. Volkmar ist nicht nur seit Jahrzehnten für den Fairen Handel aktiv und weiß über die Geschichte dieser Bewegung nicht nur dementsprechend viel zu erzählen, sondern kann diese Geschichte und seine Erkenntnisse daraus auch mit wunderbarem Berliner Humor zum Besten geben. Gerade in Zeiten von Zoom-Treffen ist dies nicht zu unterschätzen!
Lieber Volkmar, bitte stelle dich und die Fair-Trade Town-Kampagne Berlin, die du hier repräsentierst kurz vor.
Die Fairtrade Town Kampagne stammt aus dem Jahr 2001 und wurde zunächst in Großbritannien eingeführt. Die Idee ist, dass ein
Ort oder eine Region ein besonderes Engagement für den Fairen Handel nachweist. Dazu werden Akteure aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammengebracht, die sich gemeinsam
um die Erfüllung der entsprechenden Anforderungen bemühen. Ich nenne mich „Sprecher“ der Berliner Kampagne, was im wesentlichen heisst, dass ich mit Kolleg:innen zusammen zu den (z.Zt. meist
digitalen) „Treffen“ unserer 30köpfigen sog. „Steuerungsgruppe“ einlade und die Bewerbungen um den Titel organisiere. Der Titel wird nämlich nicht für die Ewigkeit verliehen, sondern muss alle
zwei Jahre neu errungen werden.
Wie lang und steinig oder gar leicht war der Weg zum Fairtrade-Titel für Berlin?
Die Kampagne wurde im Jahr 2009 in Deutschland eingeführt und bereits zwei Jahre später wurde der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf dank seines sehr aktiven Weltladens „A Janela“ mit dem Titel ausgezeichnet. Weitere Bezirke folgten (Mitte 2014, Pankow und Tempelhof-Schöneberg 2016, Friedrichshain-Kreuzberg und Steglitz-Zehlendorf im Jahr 2018). Aus den aktiven Bezirken wurde parallel die Frage immer lauter, was eigentlich die Stadt in dieser Hinsicht leistet oder zu leisten bereit ist. In den Jahren 2015/16 wurde die Kampagne auch auf der städtischen Ebene systematisch vorbereitet. Die Zivilgesellschaft preschte Ende 2016 mit der Gründung einer Steuerungsgruppe für Berlin vor. Im Koalitionsvertrag der Rot-Rot-Grünen Koalition wurde das Ziel „Berlin wird Fairtrade-Town“ explizit aufgenommen und mit dem entsprechenden Beschluss des Abgeordnetenhauses im März 2017 wurde die Förderung des Fairen Handels erstmals zum politischen Ziel der Stadtregierung. Danach ging es eigentlich nur noch darum, die vielfältigen Akteure und Aktivitäten des Fairen Handels in der Stadt zu erfassen, zu bündeln und ihnen eine Struktur zu geben, um im November 2018 offiziell mit dem Titel ausgezeichnet zu werden.
Du bezeichnest dich manchmal scherzhaft als „Urgestein des Fairen Handels“. Erzähl doch mal, wie du zu der Bewegung gekommen bist und wie du dich darin engagiert hast?
Es begann im Jahr 1992. Wir bereiteten seitens der Verbraucherorganisationen, für die ich arbeitete, gerade den sog. „Sozial-Ökologischen Unternehmenstest“ vor. Aus der Presse erfuhren wir, dass in Deutschland nach nierderländischem Vorbild ein Siegel (das TransFair-Siegel) eingeführt werden sollte. Damit sollten Produkte aus Fairen Handel auch im konventionellen Einzelhandel ausgezeichnetn werden. Die Mitwirkung bei diesem System übernahmen wir sofort als ein weiteres Bewertungskriterium dafür, inwieweit Unternehmen im Markt Verantwortung übernehmen.
Unser imug-Institut unterstützte TransFair dann bei der Einführung des Siegels und neuer Produktgruppen (nach dem Kaffee). Persönlich habe ich mich auch danach in zahlreichen Rollen weiter engagiert, so als Mitbegründer des Forums Fairer Handel, Vorstandsmitglied bei TransFair und bei FLO Cert (der Zertifizierungsorganisation für Fairtrade), Abwickler von Marktforschungsvorhaben für den Weltladen-Dachverband und das Forum Fairer Handel und in der Leitung der Kampagne „fair-feels good“, die in den Jahren 2003 bis 2006 von der Verbraucher Initiative durchgeführt wurde und wesentlich zum Wachstum der Fairtrade-Umsätze in Deutschland beigetragen hat. Seit 2015 (mit dem sog. „Ruhestand“) habe ich mich auf die Förderung des Fairen Handels in Berlin konzentriert, sowohl mit der Kampagne „Fairtrade Towns“ in den Bezirken und auf städtischer Ebene, als auch bei der Unterstützung des Aufbaus des „Aktionbündnisses Fairer Handel“.
Bist du zufrieden damit, wo der Faire Handel in Berlin heute steht? Was sollte aus Deiner Sicht noch anders werden?
Eigentlich kann man ja erst so richtig zufrieden sein, wenn die Bewegung des Fairen Handels sich selbst überflüssig gemacht hat – soll heißen, wenn der gesamte Welthandel seine ausbeuterischen Strukturen abgelegt hat und soziale und ökologische Verantwortung die Normalität darstellen. Aber es ist schon hocherfreulich, welche großen Schritte die Stadt Berlin in den letzten 10 Jahren in diese Richtung unternommen hat. Wir müssen jetzt die errungenen Positionen sichern und für eine bleibende Struktur und Finanzierung sorgen, damit das neu gebildete „Aktionsbündnis Fairer Handel Berlin“ nicht nur eine Projekt-Episode bleibt.
Haben wir eine Frage nicht gestellt, die du hier gerne beantworten würdest?
Bescheiden wir ihr seid, habt ihr mich nicht gefragt, wieso ich Euch bei dieser Aktion unterstütze (obwohl ich als „model“ nun wirklich keinerlei Erfahrungen habe). Ich antworte trotzdem einmal darauf: Der Faire Handel kann nur wirksam werden, wenn Wirtschaftsakteuere (Nicht nur als Nachfrager ,sondern auch Produzenten und Händler) aktiv ihren Beitrag leisten. Dies ist nicht immer leicht zu erreichen – sind doch Konkurrenz-Situationen im Markt real und türmen sich die Probleme unter Corona-Bedingungen noch einmal höher! Trotzdem hat sich der Fair-Fashion-Laden supermarchè für uns immer als ein verlässlicher Partner erwiesen, der nicht nur materielle Ressourcen einbringt, sondern auch seine Kompetenz als Wirtschaftsakteur, die für die Bewegung unschätzbar wichtig ist. Hiermit ein wenig Gegenleistung zu erbringen, fällt mir also absolut leicht – hoffentlich nutzt es auch der gute Sache!
Du engagierst dich nicht nur für Fairtrade Town Berlin, sondern auch im für den Fairtrade Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Was magst du an Deinem Bezirk? Gibt es etwas, was dort anders oder besonders ist, was die Faire-Handelsbewegung angeht?
Jeder Bezirk hat seine Besonderheiten, was ja gerade die Vielfalt der Aktivitäten in Berlin ausmacht. In Steglitz-Zehlendorf haben wir zum Beispiel den Botanischen Garten, der seit eh und je auch die landwirtschaftlich genutzten Pflanzen präsentiert, die einen Großteil des Fairen Handels ausmachen. Für die Bewerbung des Bezirks war ein wichtiger Beitrag, dass die dem Botanischen Garten angegliederte Botanikschule beschlossen hat, Lehrerfortbildungen und Schülerseminare nicht nur zur biologischen, sondern auch zur sozialen und ökologischen Seite des Anbaus dieser Pflanzen anzubieten. Damit ist der Faire Handel sozusagen „organisch“ in deren Bildungsaktivitäten integriert worden.
Infos zur Fairtrade-Town Berlin-Kampagne:
Titel seit: November 2018, verlängert im Herbst 2020
Kontakt für Interessierte: v.luebke@gmx.de
Web: fairtrade-towns.de
Das Interview mit Volkmar von Fairtrade-Town Berlin führten wir schriftlich im Oktober 2021 im Rahmen unserer Nachbar*innen-statt-Modells-Kampagne.
Anstatt die Modellfotos der Marken zu nehmen, deren Basics wir durchgängig im Laden führen, fragten wir unsere Nachbar*nnen & Kolleg*innen, ob sie nicht unsere Modells sein wollen. Mehr zu der Aktion und der Idee dahinter findet Ihr hier. Dies sind die Modellfotos, die im Rahmen der Aktion von Volkmar entstanden sind. Vielen Dank für die Teilnahme an der Aktion!